Durchschnittliches Leiden

Titel

César Econda

 

Durchschnittliches Leiden

 

Roman 253 Seiten

ISBN 978-3-942849-33-3 13,90 €

 

 

 

César Econda macht Ferien – lieber allein, in Paris. Er wohnt in einem kleinen Hotel mitten in der Stadt, mit einem Morgenbuffet im Keller in zwei Räumen, was gut für ihn ist, da er so nicht mit dem schon frühstücken-den Ehepaar in einem Raum sein muss. Täglich fährt er mit der Métro durch Paris und nimmt Sie, die Leser, mit, zeigt Ihnen bekannte und unbekannte Ecken dieser anonymen und doch oft charmanten Metropole, erzählt von sich und den Schwierigkeiten des Lebens, der völligen Sinnlosigkeit, wie er meint, und auch begründen kann, denn er ist Wissenschaftler, trinkt, isst ein wenig und besucht Prostituierte – Charly zuliebe. Denn sie sind ja in Paris.

 

 

 

Das ist “Durchschnittliches Leiden”

 

liesmich

 

Und hier noch ein kleiner Einblick in das Innere dieses gar nicht schwermütigen und sehr originellen  Buches.

 

LESEPROBE:

 

Nichts konnte meinen eigenen Ansprüchen gerecht werden, ich fühlte mich überall scheiße, sozial völlig zurückgeblieben, dumm, minderwertig, zu schlecht für die Schule, hatte keine Meinung oder ich getraute mich nicht sie zu äußern, konnte keine Gefühle ausdrücken, war extrem scheu und ich hatte nicht den Hauch einer Hoffnung, je eine Freundin zu haben. Und ich hatte immer Angst, eigentlich vor allen Lehrern, weil sie die Macht hatten, mich vor der Klasse bloß zu stellen, vor Sprachen, vor dem Aufge-rufenwerden in der Klasse, vor Mädchen und so weiter und so fort. So einer wie ich braucht dringendst Schläge.

Jeder 67ste Mann und jede 143ste Frau beendet ihr Leben mit Selbstmord. Die Schweiz war Deutschland in der Vergangenheit diesbezüglich immer eine Nasenlänge voraus. Die Suizidversuchsrate ist schätzungsweise 10-15mal höher als die Suizidrate. Frauen haben eine hohe Suizidversuchsrate, Männer dafür eine höhere Suizidrate.

Die Wissenschaft unterscheidet zwischen der Suizididee, dem Suizidversuch und schließlich dem geglückten Suizid. Ein Suizidversuch lässt sich wie folgt definieren: Ein selbst-initiiertes, gewolltes Verhalten eines Patienten, der sich verletzt oder eine Substanz in einer Menge nimmt, die die therapeutische Dosis oder ein gewöhnliches Konsumniveau übersteigt und von welcher er glaubt, sie sei pharmakologisch wirksam.

Der Suizidversuch kann durch drei verschiedene Motive begründet werden:

  1. Parasuizidale Pause mit dem Motiv der Zäsur
  2. Parasuizidale Geste mit dem Motiv des Appells
  3. Parasuizidale Handlung mit dem Motiv der Autoaggression

Bei (a) will man nur abschalten, schlafen und in Ruhe gelassen werden, ohne dass man den Wunsch zu sterben für sich formulieren würde.

Bei (b) steht der Appell an den Mitmenschen im Vordergrund. Der Suizidversuch wird so ausgeführt, dass derjenige, an den der Appell gerichtet ist, einen findet. Zudem führt man ihn so aus, dass man mit höchster Wahrscheinlichkeit auch wirklich noch rechtzeitig gefunden wird.

Bei (c) will man eindeutig sterben und ins Gras beißen.

Simulanten können leicht entlarvt werden. So lässt sich die Ernsthaftigkeit eines Selbstmordes mit drei Kriterien identifizieren. (i) Der Suizidintention, das heißt wie ausgeprägt der Wunsch zu sterben ist, (ii) dem Suizidarrangement, das heißt, inwieweit der Betreffende ein Auffinden seiner Person nach erfolgtem Suizidversuch möglich oder unmöglich macht und schließlich (iii) der Suizidmethode, das heißt, ob sie weich ist wie mit Tabletten, Drogeneinnahme, oberflächliches Ritzen am Handgelenk, oder ob sie hart ist wie Erschießen, Erhängen oder Einnahme einer sehr giftigen Substanz.

´Ist das nicht witzig? Und am amüsantesten ist, dass es scheiß egal ist, ob sich jemand die Birne wegpustet, sich unter den Zug wirft oder in die Luft fliegt. Denn es ist seine eigene Entscheidung und einen Sinn, hier zu bleiben, gibt es nun wirklich nicht´, denkt er.

Ich begann ein eingehendes Studium zum Thema Selbstmord. Wahrscheinlich Selbstmord im Sinne einer parasuizidalen Geste mit dem Motiv des Appells. Da gibt es eine breite Palette an Möglichkeiten. Um Selbstmord im Sinne eines Appells zu begehen, verlangt das Unterbewusstsein eine Methode, die möglichst nach Selbsttötung aussieht. Das Timing für das Auffinden und die Handlung selbst muss dabei äußert sorgfältig geplant werden, sonst könnte man sterben. Der Hilfeschrei an die Angehörigen, ´Mir geht es scheiße´ soll schließlich auch ankommen, und nicht, ´Mir ging es scheiße´! Es scheint eine weiche Methode dafür geeignet zu sein: Sich die Pulsadern aufschneiden (in Querrichtung), eine Überdosis Schlaftabletten einnehmen und die Schachtel gut sichtbar deponieren, eine Vergiftung im Auto mit dem Staubsaugerschlauch (dabei aus Versehen mit dem Kopf auf der Autohupe einschlafen), nichts mehr essen oder in einen Fluss springen. Kreativeren Köpfen stehen weitere Möglichkeiten zur Verfügung: Einen Palstek anstelle eines Henkerknotens in den Strick knüpfen, der zieht sich bekanntlich nicht zusammen. Oder man befasst sich intensiv mit dem Energieabbau der Knautschzone des elterlichen Autos und fährt dann mit untersetzter Geschwindigkeit in eine Mauer. Weiter könnte man sich zu Tode saufen.

Methoden für den Selbstmord mit dem Motiv der Autoaggression müssen da schon etwas ausgeklügelter und härter sein. Ich könnte mir nichts Schlimmeres vorstellen, als nach einem völlig verpfuschten Leben auch noch beim Selbstmord zu versagen. Wie mies muss man sich fühlen, wenn man nicht mal das auf die Reihe kriegt? Zu den populärsten dieser Gattung gehört das Erschießen (eventuell mit vorausgehendem Amoklauf, je nach persönlicher Vorliebe), sich mit Sprengstoff in die Luft jagen (man achte auf eine hohe Brisanz), sich den goldenen Schuss geben, sich erhängen, diesmal mit dem richtigen Knoten, nochmals die Pulsadern aufschneiden, diesmal aber in Längsrichtung oder sich nochmals mit einer Überdosis vergiften, aber diesmal nicht mit harmlosen Schlaftabletten. Auch hier gibt es wieder die kreativeren Ansätze: Betonklotz an die Füße und vom Schiff springen, sich freiwillig zum Krieg melden, in einen Schmelzofen springen, einen Berufskiller auf sich ansetzen oder sich mit Aids infizieren.

Ich habe schlussendlich keine dieser Methoden ausprobiert. Es blieb nur beim Gedankenspiel, bei der banalen Suizididee, ich feige Sau. Mir ging es wohl zu gut!

 

 

liesmich